Gestaltung ausstellen. Zeigeordnungen 1950–1970. Internationale Tagung am HfG-Archiv Ulm

Gestaltung ausstellen. Zeigeordnungen 1950–1970. Internationale Tagung am HfG-Archiv Ulm

Organisatoren
Thomas Hensel, Hochschule Pforzheim; Martin Mäntele, HfG-Archiv, Ulm; Steffen Siegel, Folkwang Universität der Künste, Essen; Forschergruppe „Gestaltung ausstellen: Die Sichtbarkeit der HfG Ulm. Von Ulm nach Montréal“, Ulm
Ort
Ulm
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.10.2018 - 31.10.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Britta Hochkirchen, Arbeitsbereich Historische Bildwissenschaft / Kunstgeschichte, Universität Bielefeld

Welche Rolle spielen Ausstellungen für die Verbreitung, Rezeption und Wirkweise von Gestaltung? Diese Frage stand im Zentrum der Tagung, die von der Forschergruppe „Gestaltung ausstellen: Die Sichtbarkeit der HfG Ulm. Von Ulm nach Montréal“ organisiert wurde. Die Forschergruppe wird von THOMAS HENSEL (Pforzheim), MARTIN MÄNTELE (Ulm) und STEFFEN SIEGEL (Essen) geleitet und durch die VolkswagenStiftung innerhalb der Förderlinie „Forschung in kleinen und mittleren Museen“ finanziert. Das laufende Forschungsprojekt, das sich als Verbund über die drei oben genannten Institutionen erstreckt, hat im April 2017 seine Arbeit aufgenommen: Zwei Doktoranden und eine Volontärin sichten und werten das Ausstellungsmaterial der HfG Ulm erstmals wissenschaftlich umfassend aus. Geplant sind sowohl Buchpublikationen als auch eine Wanderausstellung sowie ein Online-Portal für den Zugriff auf das Archivmaterial. Die Tagung brachte die ForscherInnen am Projekt zur HfG Ulm mit WissenschaftlerInnen zusammen, die sich dem Wechselverhältnis von Ausstellung und Gestaltung in internationalen Zusammenhängen widmeten.

In ihrer Einführung betonten die drei Projektleiter im Sinne des gesamten Forschungsvorhabens, dass es gerade nicht darum gehe, die HfG Ulm – etwa als Nachfolgeinstitution des Bauhauses – mythisch zu überhöhen, sondern die Ausstellungstätigkeit in der kurzen Existenzzeit dieser westdeutschen Hochschule präziser innerhalb des internationalen Zusammenhangs zu kontextualisieren und vielleicht sogar in einigen Aspekten gegen den Strich der eigenen Programmatik lesen zu können. Die ‚Ulmer Vorstellung‘ von Gestaltung sowie die Politik, Pädagogik und Ästhetik, die damit verbunden wurde, sei auf Ausstellungen als Ort der Verhandlung als auch der Verbreitung angewiesen gewesen. Ausstellungen wie die sogenannte „Mensaausstellung“ von 1958 oder die Wanderausstellung von 1963 dienten, so die Projektleiter, nicht nur der Selbstdarstellung, sondern auch der Reflexion der eigenen Gestaltungspraxis. Die Fragerichtung wurde in der Einleitung dahingehend präzisiert, dass Ausstellungen sowohl als Destillat als auch als Katalysator der Arbeit an der HfG Ulm untersucht werden sollten.

LINUS RAPP (Essen / Pforzheim / Ulm), Doktorand im Forschungsprojekt, verglich in seinem Vortrag die Expositionen der Hochschule, wie sie in der Bundesrepublik, etwa 1963 mit der HfG-Wanderausstellung (Stuttgart / Ulm) oder aber im Deutschen Pavillon bei der Weltausstellung in Montreal (Kanada) 1967, stattgefunden hatten. Rapp hob dabei spezifische Elemente im Ausstellungsdesign hervor, wie etwa die Stabwerkskonstruktionen für mobile Ausstellungen (in der Ausstellung in Stuttgart zu sehen) oder die sogenannten „Ulmer Eier“, Plexiglaskugeln, in die im Deutschen Pavillon ein Bildschirm eingelassen wurde. Solche Elemente bewirkten eine Normierung der Gestaltung auch in der Präsentationsweise einer Ausstellung. Rapp stellte heraus, dass die sachlich orientierte Ästhetik der Ulmer Schule einmal mehr durch die Gestaltung des Ausstellungsdesigns einerseits ‚demokratisiert‘ andererseits in ihrer Anmutung ‚verwissenschaftlicht‘ worden sei. Ebenfalls eine spezifische Perspektive aus der Designforschung nahm CLAUDIA MAREIS (Basel) mit ihrem Vortrag zu Karl Gerstner und der Objektivierung visueller Gestaltung ein.

REGINE EHLEITER (London / Leipzig) untersuchte die portablen Galerien, die zum Beispiel zu Henryk Berlewis Ausstellung „Mechano-Fakturen“ (21. Oktober bis 21. Dezember 1963) herausgegeben wurden. Durch diese Ausstellungen als Publikation wurde, so Ehleiter, ein neues Beziehungsmodell zwischen Betrachter und Werken in der Rezeption bewirkt, in die wortwörtlich eingegriffen werden konnte. Durch die Aufhebung des physischen Präsentationsortes der Ausstellung innerhalb der Publikation konnte der Betrachter die unterschiedlichen bildlichen Elemente der Op-Art in unterschiedliche Arrangements anordnen und verändern.

Auch KIRSTEN WAGNER (Bielefeld) stellte drei unterschiedliche Zeigeordnungen vor, nämlich die des Portfolio „Art and Science“, die der Ausstellung „The New Landscape“ (1951) und schließlich die des Buches zu dieser Ausstellung unter dem Titel "The New Landscape in Art and Science". Die Zeigeordnungen dieser drei ‚Publikationsorgane‘ von György Kepes am Massachusetts Institute of Technology beruhten – so zeigte Wagner – in weiten Teilen auf den Potenzialen (und Grenzen) ihrer eigenen Medialität. Die Referentin hob hervor, wie das räumliche Tableau in der Ausstellung durch die Gestaltung selbst zu einer perspektivisch gerichteten Landschaft wurde.

ROLAND MEYER (Cottbus-Senftenberg) betonte hingegen in seinem Vortrag wie zentral das enge und auf verlustfreie Kommunikation ausgerichtete Verständnis von Zeichen in Ulm gewesen sei. Objekte können sich nicht selbst vermitteln: Das war die grundsätzliche Einsicht, die diese Zeichenpraxis hervorbrachte.

Ging es bei Rapp eher um die Fragen des konkreten Displays, so untersuchte CHRISTOPHER HAAF (Essen / Pforzheim / Ulm), ebenfalls Doktorand im Forschungsprojekt zur HfG Ulm, institutionengeschichtlich die Wirkweise von Ausstellungen, wie sie sich im Diskurs niederschlug. Dabei sei die Frage von Gestaltung hoch politisch gewesen und damit auch die Institutionalisierung spezifischer Ideen von Design. Ausstellungen – so Haaf – hätten allerdings eine untergeordnete Rolle bei der (internationalen) Verbreitung der Gestaltungsideen der HfG Ulm gespielt. Vielmehr sei die internationale Vermittlung der Gestaltungsideen sowohl durch Figuren wie Tomás Maldonado als auch durch den Austausch über Gastdozentenprogramme geprägt worden. Diese wurden vor allem durch den International Council of Societies of Industrial Design gefördert, der – ebenso wie Zeitschriften als Publikationsorgane – ein Knotenpunkt für die Verbreitung von Diskursen gewesen sei.

KATHARINA KURZ (Ulm), Volontärin im Forschungsprojekt zur HfG Ulm, thematisierte gemeinsam mit Steffen Siegel die Rolle der Sprache an der HfG. In diesem Kontext wurden vor allem auch grundsätzliche methodische Fragen der Ausstellungsforschung thematisiert: In der Untersuchung von Ausstellungen, die immer schon ephemer angelegt waren, wird häufig vorwiegend auf das kontextualisierende, diskursive und damit sprachliche Material zurückgegriffen. Wertvoll wäre jedoch auch eine präzise Analyse von installation shots und anderem Bildmaterial, um die Eigenwirksamkeit der Displays und Gestaltungsobjekte jenseits vom häufig bereits gesetzten Diskurs analysieren zu können. Nur so könne durch Untersuchungen von Ausstellungen auch deutlich werden, wie dieses Medium Diskurse verändern konnte. Erst vor diesem Hintergrund würden Ausstellungen nicht nur als Indikator für die Wirksamkeit, zum Beispiel von der Ulmer Idee von Gestaltung, sondern auch als deren Faktor anerkannt.

JONAS KÜHNE (Berlin) betrachtete in seinem Vortrag die Ausstellungstätigkeit der US Exhibition Section, wie sie etwa mit der Marshall-Plan-Ausstellung, der ERP-Ausstellung Berlin, in der frühen BRD umgesetzt wurde. Kühne zeigte auf, wie die Ausstellungsgestaltung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges dafür eingesetzt wurde, für demokratische Prinzipien des Westens zu werben. Dabei hob er hervor, dass es dafür gerade auf Fragen der Mobilität und Partizipation in der Gestaltung ankam.

MARI LAANEMETS (Tallinn) stellte die Entwicklung der Ausstellungsreihe "Raum und Form" in Tallinn zwischen 1969 und 1972 vor: Hieran werde, so die Referentin, ein Wendepunkt in der Auffassung von Design deutlich. Die zweite Ausstellung habe sich vom Rationalismus der ersten Ausstellung abgewandt, hin zum Design als Selbstzweck und als autonome Form.

CHRISTIANE WACHSMANN (Ulm), Kuratorin am HfG-Archiv in Ulm, führte durch die von ihr eingerichtete Sonderausstellung „wir demonstrieren! linksbündig bis zum schluss“, die die Geschichte der HfG bis zu ihrer Schließung im Jahr 1968 thematisiert. Die Kuratorin erläuterte, dass sie die Ausstellung im Sinne eines Dramas in fünf Akten angelegt habe. Erfreulich war, dass diese Ausstellung, die sich in ihrer eigenen Zeigeordnung stark an die Gestaltungsprinzipien der HfG Ulm anpasste, auch noch in späteren Diskussionen thematisiert wurde. Das Zusammenwirken von WissenschaftlerInnen, GestalterInnen und KuratorInnen (Berufsbeschreibungen, die oftmals Doppelfunktionen beinhalten) war an diesen Stellen besonders fruchtbar und sollte bei solchen Tagungen noch stärker durch die Mischung der eingeladenen Vortragenden genutzt werden. So war der Einblick, den LYDIA KÄHNY (Karlsruhe) in die Konzeption des Publikationsprojekts „Re-Reading the Manual of Travelling Exhibition, UNESCO, 1953“ gab, von großem Interesse: Im Rahmen dieses Projekts wurde ein Handbuch für Ausstellungsmacher und Museumskuratoren kritisch kommentiert und gestaltet.

Die Frage nach Ausstellungen als einem Medium der Sichtbarmachung von Gestaltung und der Programmatik einer Hochschule wie der HfG im internationalen Kontext war ein lohnenswertes Anliegen dieser Tagung, die auf diese Weise erhellende Einblicke in die unterschiedlich politisch aufgeladenen Konzepte von Gestaltung einerseits und Ausstellungen andererseits gegeben hat. Die Spezifik des Wechselverhältnisses von Ausstellungen und Gestaltung (einerseits als Gegenstand, andererseits als Methode), das sich ja schon im Titel der Tagung andeutet, bleibt auch nach der Tagung noch ein weiter zu bearbeitendes Thema. Dafür wäre es lohnenswert – trotz der oftmals auftretenden Quellenproblematik der fehlenden installation shots –, den Blick noch stärker auf die Praktiken des Ausstellens zu richten – erst dann werden auch Zeigeordnungen jenseits der Programmatik einer Hochschule in ihrer Wirksamkeit analytisch fassbar.

Konferenzübersicht:

Thomas Hensel (Pforzheim) / Martin Mäntele (Ulm) / Steffen Siegel (Essen): Begrüßung, Einführung

Lydia Kähny (Karlsruhe): Re-Reading the Manual of Travelling Exhibitions, UNESCO, 1953

Kirsten Wagner (Bielefeld): Transatlantische Zeigeordnungen. Zu den Ausstellungen und Publikationen von György Kepes am Massachusetts Institute of Technology
Jonas Kühne (Berlin): Der Westen und die Moderne. Amerikanische Ausstellungen in der frühen Bundesrepublik

Christiane Wachsmann (Ulm): Führung durch die Ausstellung „wir demonstrieren! linksbündig bis zum schluss“

Linus Rapp (Essen / Pforzheim / Ulm): Gestaltung in der Krise? Ausstellungen an der HfG Ulm und anderswo

Roland Meyer (Cottbus-Senftenberg): Laborräume der „Visuellen Kommunikation“. Die HfG Ulm und die „Semiotisierung der Umwelt“ um 1960

Christopher Haaf (Essen / Pforzheim / Ulm): Von Ulm über Mailand nach Montréal. Die HfG Ulm und ihr internationaler Kontext

Claudia Mareis (CH–Basel): Entwerfen – Programmieren – Ausstellen: Zu Karl Gerstner und der Objektivierung visueller Gestaltung

Regine Ehleiter (Leipzig / GB–London): Partizipation gestalten: Christian Chruxins konzeptuelle Verknüpfung von Publikation und Ausstellung im Programm der Westberliner Galerie situationen 60 (1963–1966)

Mari Laanemets (EST–Tallinn): Die Ausstellungsreihe „Raum und Form“ (Tallinn, 1969 und 1972) – eine Reflexion über Gestaltung im Kontext des Kalten Krieges

Katharina Kurz (Ulm): Getextet, um zu zeigen